Social Web im Risikomanagement

Social Web im Risikomanagement: Erfahrungen mit Webforen im Outdoor-Risikomanagement und weitere zukünftige Entwicklungen

Christian Klingler

Christian Klingler

Softwareprojektleiter bei Swarovski Optik
IT-Sachverständiger
Hobbysportler (Berg, Ski, Trail)
Mitglied einer Lawinenkommission

Mitarbeiter bei ASI-Tirol 2000-2006 und Mitherausgeber von alpinesicherheit.com

christian[at]klingler.com

Michael Bründl

Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF)

Dr. Michael Bründl, leitet die Forschungsgruppe Risikomanagement beim Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos (Teil der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL)

bruendl[at]slf.ch

Dieser Beitrag erschien erstmals im Jahrbuch 2006 des österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit und baut auf einem Konferenzbeitrag von Christian Klingler auf der Konferenz IDRC 2006 in Davos auf.

1. – Einleitung

Neben den Frühwarnsystemen, die sich vor allem für Wintergefahren in den alpinen Regionen etabliert haben, entwickelte sich in den letzten Jahren ein weiteres Modell des Informationsaustauschs. Mit Web-basierten Foren können nicht nur Behörden und Experten Outdoor-Risken einschätzen, sondern jedermann/frau. Dieser Vorteil ist allerdings auch der stärkste Nachteil in Bezug auf das Qualitätsmanagement der Beiträge.

Social Web im Outdoorsport
Social Web im Outdoor-Sport

2. – Web 2.0

In den Jahren 2004 bis 2006 entwickelte sich das Informationsmodell im Web weiter. Soziale Anwendungen erschienen; die bekanntesten sind dabei Flickr für Fotos, del.icio.us für Bookmarks und die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Der Verleger Tim O’Reilly definierte für diesen Paradigmenwechsel von „publish“ zu „participate“ den Begriff „Web 2.0“ [OR2005].

Web 2.0 als Tagwolke
Web 2.0 als Tagwolke, Grafik CC-BY Markus Angermeier

Die Vertreter des Web-2.0-Modells glauben, dass die Verwendung des Webs sich hin zu Benutzeraustausch und sozialen Netzwerken entwickelt. Dabei entsteht durch die Benutzer eine Art von „sozialer Intelligenz“ [TR2005]. Im Gegensatz zu autoritativen Systemen von formalen Verzeichnissen (ein „Taxonomie“ genanntes Prinzip) wird die Welt dabei über kollaboratives „Tagging“ klassifiziert (von Thomas Vander Waal 2003 als „folksonomy“ bezeichnet [VW2004]). Ein weiterer Aspekt im Web 2.0 ist die Syndikation von Inhalten („content syndication“). Über die Webstandards RSS und Atom können Inhalte von externen Quellen in eigene Websites integriert werden.

Angewendet auf Outdoor-Risikomanagement bedeutet dies, dass soziale Netzwerke die Möglichkeit der sinnvollen Ergänzung von traditionellen zentralistischen Frühwarnsystemen bieten, die über Email oder das WWW verbreitet werden.

2.1. – Web 2.0-Bausteine

Die Grundidee des Web 2.0 ist also die Kommunikation der User über Webtools. Mit den Beiträgen entsteht dabei das „social web“. Technologisch sind Web-2.0-Anwendungen aus Komponenten wie Blogs, Wikis, Foto-, Video- oder Kartenapplikationen aufgebaut.

Abb. 3: Web 2.0 Komponenten

Erfolgreiche Software sind WordPress, Typepad, Blogger, MediaWiki, Picasa / Picasaweb. Bekannte Marken im Web sind Blogger.com, Yahoo 360, MySpace, Wikipedia, Flickr, YouTube und Google Maps.

Der „Klebstoff“ des Web 2.0 sind offene APIs und Protokolle wie RSS, RDF, Atom. Damit können alle diese Anwendungen miteinander kombiniert werden – Stichwort „Mashup“. Damit entstehen neue Anwendungen, beispielsweise werden georeferenzierte Fotos mit einer interaktiven Kartenanwendung verknüpft. Für die nähere Zukunft ist die Kombination von standardisierten Basiskomponenten für Texte, Fotos, Videos, etc. zu einer Web-2.0-Anwendung im Risikomanagement denkbar. Einige Angebote im Web gehen bereits in diese Richtung.

3. – Beispiele für erfolgreiche Benutzerforen

Man kann zwischen zwei Arten von Risikomanagementsystemen unterscheiden: Einerseits entwickelten sich (meist zugangsgeschützte) Expertenforen, und andererseits öffentliche Foren.

Traditionelles Frühwarnsystem vs. Social Web (Benutzerforum)
Traditionelles Frühwarnsystem vs. Social Web (Benutzerforum)

3.1. – Öffentliche Foren

Beispiele von öffentlichen Foren entwickelten sich in Österreich und der Schweiz seit etwa dem Jahr 2000. Das Forum des SLF, basislager.ch, Auf Touren and gipfelbuch.at sind gute Beispiele für öffentliche Foren, in denen die Benutzer ihre Risikoerfahrungen austauschen.

Das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos startete 2000 mit einem Webforum [FOR2000], das nach dem Prinzip der Network News und Bulletin Boards arbeitete. Die Benutzer konnten darin Fragen stellen und auf eine Antwort von Experten oder anderen Benutzern hoffen.

2001 wurde von einem österreichischen Bergführer ein LISA [LISA2001] genanntes Forum über Lawinengefahren installiert. Jedermann konnte über Schneebedingungen, Lawinengefahren und -unfälle berichten.

2002 wurde vom Österreichischen und Tiroler Bergsportführerverband gemeinsam mit ASI die Plattform „gipfelbuch.at“ [GIPF2002] gegründet. Mit jeder Skiroute, mit jeder Abfahrt trifft ein Bergführer kausale Entscheidungen, die auf Fachwissen, Erfahrung, Intuition und darüber hinaus auf Gebietskenntnissen und Heimvorteil beruhen. Um dieses Humankapital nutzbar zu machen, wurde das Internetforum gipfelbuch.at vom Verband initialisiert. Nachdem Beiträge nur von Bergführern geschrieben werden, ist die Qualität der Beiträge hoch.

In der Schweiz wurde basislager.ch [BAS2000] im Jahr 2000 als eine private Initiative gegründet. Es deckt alle Arten von alpinen Outdoor-Sportarten von Skitouren über Hochtouren zu Eisklettern ab. Bis heute ist basislager.ch die Plattform mit der größten Benutzerbeteiligung. Von November 2001 bis Februar 2005 wurden etwa 5300 Benutzerartikel im Forum gezählt.

Das Fotoforum „Auf Touren“ des Salzburger Lawinenwarndienstes [AT2003] startete ursprünglich als Fotowettbewerb. 2003 wurden die Fotopostings um die Möglichkeit von Benutzererfahrungen bei Skitouren ergänzt. „Auf Touren“ entwickelte sich zu einem mächtigen Forum zum Austausch von Risikoerfahrungen von Wintersportlern.

3.2. – Expertenforen

Das Einsatzinformationssystem ESIS [ESIS2001] wurde von ASI in Landeck als ein Werkzeug zum Austausch von sicherheitsrelevanten Informationen während der FIS Alpinen Ski-WM 2001 in St. Anton am Arlberg entwickelt. ESIS besteht aus einem Web-basierten Content Management System (CMS), Benutzerauthentifizierung und einer SMS-basierten Alarmierung. Die teilnehmenden Benutzer tauschen ihre Sicherheitsinformationen über ein benutzerfreundliches Webinterface aus.

Im darauf folgenden Winter 2001/2002 wurde das System als „ESIS LK“ für den regionalen Informationsaustausch der Lawinenkommissionen im Bezirk Landeck adaptiert. Eine weitere Sportart, für die sich das Forum als Werkzeug bewährt hat, ist der Canyoningsport.

IFKIS-MIS („Interkantonales Frühwarn- und Kriseninformationssystem für Naturgefahren“, [IFKIS2004]) wurde 2001 vom SLF und den Schweizer Kantonen in der Landschaft Davos-Klosters – im Rahmen der IFKIS-Maßnahmen nach 1999 – eingeführt. ASI’s ESIS wurde dafür als technologische Basis verwendet. Der erste Winter demonstrierte die Brauchbarkeit zur Kommunikation der Sicherungsverantwortlichen über ein Web-basiertes Informationssystem. Die zentrale Frühwarnung wird dabei nicht ersetzt, sondern durch eine weitere Komponente ergänzt. Mittlerweile wird das permanent weiterentwickelte IFKIS-MIS in vier weiteren Schweizer Regionen eingesetzt.

4. – Zukunft der web-basierenden Foren

Bei Web-basierenden Outdoor-Foren werden standardisierte Web-2.0-Tools kollaborative Risikomanagement-Plattformen ermöglichen. Nützliche Komponenten sind vor allem Weblogs, Moblogs, Foto- und Videoplattformen, Möglichkeiten zur Überprüfung von Artikeln, Wikis und alle Arten von Kartenanwendungen.

4.1. – Qualitätssicherung

Die Qualität der Beiträge ist das Erfolgskriterium bei Benutzerforen. Wie gewährleistet man sinnvolle Beiträge? Wie geht man mit Störern um? Wie filtert man unqualifizierte Beiträge und Spam aus?

Eine erste Möglichkeit sind technische Filterlösungen wie „Akismet“, „Spam Karma“ oder „Spam Assassin“, die in einigen Weblog-Systemen zum Einsatz kommen. Akismet [AKIS2005] als Beispiel für eine solche technische Lösung ist ein adaptiver, selbstlernender Spamschutz in Form eines Weblog-Plugins mit einer Fehlerrate von 0.001% (lt. eigenen Angaben).

Akismet filtert Spam-Beiträge
Akismet filtert Spam-Beiträge

Die zweite, wesentlich effektivere und Erfolg versprechende Möglichkeit sind die Nutzer selbst. Das Netzwerk von teilnehmenden Benutzern übernimmt die Qualitätssicherung, beispielsweise über ein Bewertungssystem. Die Benutzer generieren dabei eine Art von „kollektiver Intelligenz“ [OR2005]: Ein soziales Netz von zusammenarbeitenden Benutzern, die ihre eigene Risikoeinschätzung austauschen.

4.2. – Juristische Fragen

In Deutschland wurde der Betreiber des IT-Forums „heise.de“ dazu verurteilt, die Beiträge im Forum permanent zu überwachen. Der neue Aspekt dieses Urteils war, dass der Betreiber sittenwidrige und beleidigende Beiträge nicht nur löschen muss, sobald diese ihm zur Kenntnis gelangen, sondern dass er darüber hinaus gehend eine permanente Überwachung gewährleisten muss. In der Praxis ist diese Regelung nicht durchführbar und würde die Schließung des Forums bedeuten.

2006 entschied das OLG Hamburg im Berufungsverfahren, dass ein Forenbetreiber nicht grundsätzlich eine Pflicht zur Überprüfung hat. Er muss auf einen entsprechenden Hinweis hin unmittelbar reagieren und offensichtlich rechtsverletzende Beiträge entfernen. In der Praxis empfiehlt sich eine Überprüfung von mindestens einmal pro Tag, in kritischen Threads noch häufiger. Ein neuer Aspekt in diesem Urteil war die Verpflichtung des Forenbetreibers, eine Prognose zu erstellen, ob aufgrund der bisherigen Forenbeiträge kritische Beiträge zu erwarten sind. Das Gericht unterschied auch zwischen privaten und gewerblich betriebenen Foren. Gewerblich betriebene Foren sollten demzufolge eine recht engmaschige Überprüfung aufweisen. Die weitere Entwicklung der Rechtssprechung in Europa ist noch uneinheitlich.

Die weitere Entwicklung der Rechtssprechung in Europa ist noch uneinheitlich.

5. – Zusammenfassung

Zukünftige Webforen im Outdoor-Risikomanagement werden soziale Plattformen sein, die den Benutzern ein Forum für ihre Riskikoerfahrung geben. Das Setup eines solchen „Social Web“ im Risikomanagement wird durch die Verwendung von standardisierten Web-2.0-Komponenten wie Blogs, Foto-, Video- oder Kartenapplikationen ermöglicht.

Der Sicherheitsgewinn für den einzelnen Outdoorsportler ergibt sich durch die Community, die ihre Erfahrung dort austauscht, diskutiert und bewertet.

Social Web (Benutzerforum)

Weiterführende Diskussionen

Unter http://ckling41.wordpress.com werden weiterführende Infos zu diesem Thema veröffentlicht. Dort gibt es auch die Möglichkeit für Kommentare und weitere Diskussionen.

‚Social web for risk management‘ auf der IDRC 2006 in Davos vorgestellt
Kommentare und Fragen zu ‚Social web for risk management‘ 

Referenzen

[AKIS2005] 
Mullenweg, Matt, Hampton, Michael, Davis, Chris J., et al: 
Akismet web service
Automattic.com 
http://www.akismet.com

[AT2004] 
Staudinger, Michael, Altenhofer, Norbert, et al: 
Auf Touren 
Salzburger Lawinenwarndienst 
http://www.lwz-salzburg.org/fototouren.asp

[BAS2000] 
Küng, Martin, Küng-Schaffner, Eveline: 
Basislager.ch
Bubikon, 2000
http://www.basislager.ch

[ESIS2001] 
Senn, Werner, Klingler, Christian et al: 
Einsatzinformationssystem ESIS
Alpines Sicherheits- und Informationszentrum ASI-Tirol, Landeck 2001
http://www.alpinesicherheit.com/esis

[GIPF2002] 
Schranz, Florian et al: 
Gipfelbuch.at
Verband der Österreichischen und Tiroler Berg- und Skiführer, Landeck 2002 
http://www.gipfelbuch.at

[FOR2000] 
Steiniger, Manfred et al: 
SLF Internet Forum 
Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos 2000
http://www.slf.ch/forum

[IFKIS2004] 
Bründl, M., Etter, H.-J., Steiniger, M., Klingler, Ch., Rhyner, J., and Ammann, W.J.: 
IFKIS – a basis for managing avalanche risk in settlements and on roads in Switzerland.
Natural Hazards and Earth System Sciences, 4, 257-262, 2004http://www.slf.ch/lwr/risikomanagement/ifkis_nhess-4-257.pdf

[LISA2001] 
Tupi, Thomas, Tupi, Andrea:
LISA – Austrian Avalanche Information System 
Alpinschule Steiermark 2001
http://www.members.tripod.de/lisainfo/

[OR2005] 
O’Reilly, Tim: 
What Is Web 2.0 – Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software
O’Reilly Network, 2005/09/30 
http://www.oreillynet.com/lpt/a/6228

[SW2006] 
Klingler, Christian, Bründl, Michael: 
Social web for risk management 
Proceedings to IDRC 2006, Davos
www.alpinesicherheit.com/2006/social-web-im-risikomanagement/

[TR2005] 
Sixtus, Marius: 
Das Web sind wir – Social Software und das neue Leben im Netz 
Technology Review, Juli 2005, Heise Verlag 
https://www.heise.de/tr/artikel/Das-Web-sind-wir-277423.html
http://www.sixtus.net/article/614_0_2_0_C13/

[VW2004] 
Vander Waal, Thomas: 
Understanding Folksonomy: Tagging that works London, 2004 – 2006 
http://s3.amazonaws.com/2006presentations/dconstruct/Tagging_in_RW.pdf
http://www.vanderwal.net/random/entrysel.php?blog=1562

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